Um 6:15 Uhr trat ich hinaus in den Regen
Und als ich gerade meine Uhr startete kamen auch schon Bulbul und Rahul auf ihren Fahrrädern um die Ecke um mich zu begleiten
Rahul hatte sich für heute fest vorgenommen, mit mir zum BZI (Berufsbildungszentrum der Industrie) in Remscheid zu lauffahren
Eigentlich wollte auch Ousmane noch dabei sein, aber irgendwie hat der wohl wieder verschlafen. Er kommt mit diesem Ramadan hier nicht klar. Schule geht, Arbeit geht, aber Spocht geht nich
Nun, dann muss er sehen, wie er am Montag zum BZI nach Remscheid findet. Vielleicht sprechen sich die Jungs ja noch ab und bilden eine Radfahrer-Gemeinschaft
OK
So fuhren Bulbul und Rahul neben mir den Berg hinauf bis zur Beltener Straße und dort stieg Bulbul aus. Seine Jeans war schon durch und er hatte auch keine regenfeste Jacke. Rahul hatte eine Regenkombi an, eine Arbeitskombi von der “Sozialarbeit” bei der Stadt. So bekam er nur nasse Füße und einen nassen Kopf
Wir zwei machten uns also auf den Weg über die Balkantrasse und Lenneper Straße bis zur Wüstenhagener Straße, wo das BZI ist
Unterwegs sprachen wir wieder über viele alltägliche Dinge. Das ist sehr wichtig, denn wir wissen ja — Ohne Sprache ist das alles nichts
Für Rahul ist es sehr schwer, denn er hat viele Monate seines bisherigen Aufenthaltes in Deutschland verstreichen lassen, ohne sich im Kreis deutschsprachiger Leute aufzuhalten. Er ist schon locker ein Jahr länger in Deutschland, als zum Beispiel Bulbul, oder Masood. Und bei Masood läuft es mit der Verständigung im Verhältnis schon erheblich besser. Er redet einfach drauf los und überredet die Fehler. Das scheint eine gute Technik zu sein, wenn wir nachher berichtigen. Rahul überlegt immer und macht sehr lange Pausen, was für das Verstehen echt tödlich ist
Also weiter üben
Wir hatten dann unterwegs auch die Themen Aggression, Gewalt oder Diebstahl
Darauf kamen wir, weil es auf der Balkantrasse im Starkregen ziemlich dunkel war und Rahul meinte es sei gefährlich hier
In Bangladesch würde man auf solchen einsamen Wegen in der Dunkelheit schnell überfallen und getötet oder zumindest geschlagen um beklaut zu werden
Ich meinte dann, dass es hier eigentlich nicht gefährlich sei
Und dann fragte mich Rahul warum es Menschen gibt, die andere Menschen schlagen, verletzen, unter Druck setzen, oder gar töten, obwohl sie wissen, dass es nicht gut für die Menschen ist? Er meint, wenn man in Bangladesch einen Vater einer Familie schlägt oder sogar tötet, was nicht selten passiert, dann ist das nicht nur unendlich traurig für die Familie, sondern auch noch unter Umständen tödlich. Der Ernährer der ganzen Familie ist weg
Und eine andere Frage war, warum jemand einem anderen das Handy klaut? Der Dieb wisse doch, dass es für den beklauten nicht gut ist, weil er das Handy doch braucht
Ich konnte ihm keine vollständige Antwort geben, nur etwas erklären…
Wir haben es geschafft uns so weit zu vermenschlichen, dass wir uns nicht mehr einfach so gegenseitig abmurksen. Das hat viele, sehr viele Jahre gedauert und das ist ja auch ein Grund weshalb er jetzt hier sei
Was mir allerdings Sorgen bereite, sei die Verrohung der letzten Monate durch bestimmte Leute. Sie machen es vielen viel zu einfach sich wieder wie Tiere zu verhalten und ohne Rücksicht drauf los zu brüllen und auch mehr und mehr Gewalt anzuwenden
Die Hemmschwelle wird zusehends herabgesetzt
Ja und wenn sich jetzt der werte Leser hier wundert, wie wir uns bei den Sprachschwierigkeiten über solche Themen unterhalten können, dem sei gesagt, dass solch eine Tour mal schlappe zweieinhalb Stunden dauert
Wir haben also ausreichend Zeit zum reden
Gymnastik, Obst, Joghurt und Körner
“They just couldn’t believe that someone would do all that running for no particular reason.” Forrest Gump
Eine Antwort auf „Warum?“
WARUM? Na…, weil es menschlich ist. Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen… nicht nur zur Weihnachtszeit, und das meine ich völlig ernst.