Kategorien
Allgemeines

Gewinnabsicht vs. Vision

Als wir ges­tern von unse­rer Wan­de­rung auf dem Heim­weg waren, tra­fen wir Ste­fan auf sei­ner Lauf­run­de. Wir unter­hiel­ten uns über das lang­sa­me Lau­fen, zum Bei­spiel bei Ver­let­zun­gen. Lang­sam oder schnell ist ja rela­tiv und wird von jeder Per­son anders emp­fun­den. Mei­ner­ei­ner war und ist zum Bei­spiel gar nicht in der Lage schnell zu lau­fen. Der Lauf­vor­gang ist ja auch nicht nach der Geschwin­dig­keit defi­niert, son­dern ob er eine Flug­pha­se beinhal­tet oder nicht. Wenn nicht, dann ist es halt Wal­ken, Wan­dern oder Gehen. So müs­sen Läu­fer wel­che eine Streak lau­fen, die soge­nann­ten Streakrunner:innen oder Täglichläufer:innen, bei ihrem Lauf die­se Min­dest­di­stanz von einer Mei­le jeden Tag lau­fen, also mit Flug­pha­se, um den Streak nicht abzu­bre­chen. Jetzt mein­te Ste­fan, dass man­che Men­schen schnel­ler gehen, als so man­che lau­fen. Da hat er Recht. Das hat vie­le Grün­de. Zur kör­per­li­chen Ver­fas­sung kommt ja auch noch die Umge­bung hin­zu, ob es flach, ber­gig, schief, glatt, schlam­mig oder hucke­lig ist und — ob es sich um einen Wett­kampf han­delt. Doch auf die Geschwin­dig­keit kommt es halt nicht an, wenn man nicht unbe­dingt fünf­und­acht­zigs­ter beim ört­li­chen Stadt­lauf wer­den, oder man sich per­sön­lich ver­bes­sern möch­te. Wobei die Sache mit dem per­sön­li­chen Ver­bes­sern auch natur­be­dingt ein Ende fin­det. Und dann? Ich erzähl­te ihm von Streakrunner:innen, die mit einer Geschwin­dig­keit von neun Minu­ten pro Kilo­me­ter lau­fen und auch, dass ich ein­mal bei einer Grip­pe acht Minu­ten pro Kilo­me­ter lief und auch nur die­se eine Mei­le schaff­te. Das rang ihm nur ein müdes Lächeln ab. Jetzt lau­fe ich auch schnel­ler als die­se acht Minu­ten, aber eben nicht sehr schnell. War­um auch. Nur so schnell, dass es mei­ne momen­ta­ne Ver­let­zung mit­macht. Wenn die Läu­fer, die sonst um Rang fünf­und­acht­zig oder gar drei­hun­dert­vier­und­drei­ßig kämp­fen, davon hören, dann rin­gen sich die meis­ten von ihnen ver­mut­lich auch nur ein müdes Lächeln ab. Es kommt halt dar­auf an, was man in sei­ner Prio­ri­tät wei­ter oben ansie­delt. Da ich kei­ne Gewinn­ab­sich­ten son­dern eine Visi­on habe, las­se ich den schnel­le­ren Läufer:innen ger­ne den Vor­tritt und außer­dem tra­ge ich ja kei­ne Start­num­mer, son­dern küm­me­re mich um mei­nen Kör­per und Geist, wäh­rend ich so durch die Gegend lau­fe. Wir spre­chen mit­ein­an­der und ich pro­bie­re mit ihnen her­um. Dabei kommt es eben nicht dar­auf an, wie schnell ich lau­fe, son­dern nur dass ich lau­fe.

Denn die Streak (Visi­on) soll ja hal­ten.

Tag 3.518 in der Streak mit gesamt 76.447 km.

Kategorien
Allgemeines

Mythen

Wäh­rend ich lau­fe muss ich etwas tun und mei­ne Leser wis­sen, dass sich die­ses Tun aus Pod­cast- oder Hör­bü­cher­hö­ren zusam­men­setzt.

Zur Zeit befas­se ich mich mit Yuval Noah Har­a­ris “Eine kur­ze Geschich­te der Mensch­heit”. Gehört habe ich drei sei­ner Bücher bereits vor eini­gen Jah­ren und nun möch­te ich sie etwas mehr “durch­ar­bei­ten”.

Wenn wir heu­te eine Men­ge Geld für Aus­lands­ur­lau­be aus­ge­ben, dann nur des­halb, weil wir ech­te Anhän­ger der Mythen des roman­ti­schen Kon­su­mis­mus sind. Der roman­ti­sche Kon­su­mis­mus ist eine Mischung aus zwei zen­tra­len Ideo­lo­gien der Moder­ne: Roman­tik und Kon­su­mis­mus. Die Roman­tik erklärt uns, wenn wir unser mensch­li­ches Poten­zi­al aus­schöp­fen woll­ten, müss­ten wir so vie­le unter­schied­li­che Erfah­run­gen machen wie irgend mög­lich. Wir müs­sen uns auf die viel­fäl­tigs­ten Emo­tio­nen ein­las­sen, mit ver­schie­de­nen Bezie­hun­gen expe­ri­men­tie­ren, unter­schied­li­che Küchen pro­bie­ren und einen brei­ten Musik­ge­schmack ent­wi­ckeln. Das gelingt uns am Bes­ten, wenn wir der Rou­ti­ne unse­res All­tags ent­flie­hen, unse­re ver­trau­te Umge­bung hin­ter uns las­sen und in fer­ne Län­der rei­sen, wo wir die Kul­tu­ren, Gerü­che, Geschmä­cker und Vor­stel­lun­gen ande­rer Men­schen ken­nen­ler­nen. Wie­der und wie­der hören wir den roman­ti­schen Mythos: »Die­se neue Erfah­rung hat mir die Augen geöff­net und mein Leben ver­än­dert.« Der Kon­su­mis­mus wie­der­um ver­spricht uns, wenn wir glück­lich sein woll­ten, müss­ten wir nur so vie­le Pro­duk­te und Dienst­leis­tun­gen wie mög­lich kon­su­mie­ren. Wenn wir das Gefühl haben, dass uns etwas fehlt oder nicht ganz in Ord­nung ist, dann brau­chen wir ver­mut­lich ein neu­es Pro­dukt (ein Auto, neue Klei­der, orga­ni­sche Ernäh­rung) oder eine neue Dienst­leis­tung (eine Haus­halts­hil­fe, eine Paar­the­ra­pie oder einen Yoga­kurs). Jeder Wer­be­spot erzählt uns ein Mär­chen von Pro­duk­ten oder Dienst­leis­tun­gen, die unser Leben bes­ser machen. Die Roman­tik, die uns Glück durch eine Viel­falt von Erleb­nis­sen ver­spricht, passt aus­ge­zeich­net zur Ideo­lo­gie des Kon­su­mis­mus, der uns das Glück durch Kon­sum ver­heißt.

Yuval Noah Hara­ri (Eine kur­ze Geschich­te der Mensch­heit)
Kategorien
Allgemeines

Sie können es versuchen

Der Traum vom bes­se­ren Leben fes­sel­te die Men­schen ans Elend. Es soll­te nicht das letz­te Mal gewe­sen sein: Was das bedeu­tet, kön­nen wir heu­te am eige­nen Leib erfah­ren. Wie vie­le jun­ge Men­schen haben nicht nach dem Stu­di­um eine Stel­le in einem gro­ßen Unter­neh­men ange­nom­men und sich geschwo­ren, sie wür­den ein paar Jah­re ordent­lich ran­klot­zen, Geld auf die hohe Kan­te legen und mit vier­zig den Job an den Nagel hän­gen, um ihren wah­ren Inter­es­sen nach­zu­ge­hen? Aber wenn der vier­zigs­te Geburts­tag naht, haben sie eine Hypo­thek und schul­pflich­ti­ge Kin­der am Bein und mei­nen, ohne Mer­ce­des und Bor­deaux nicht mehr leben zu kön­nen. Was sol­len sie tun? Wie­der Wur­zeln aus­gra­ben? Natür­lich nicht. Statt­des­sen kämp­fen sie um eine Beför­de­rung und stram­peln sich wei­ter ab. Eines der eher­nen Geset­ze der Geschich­te lau­tet, dass ein Luxus schnell zur Not­wen­dig­keit wird und neue Zwän­ge schafft. Sobald wir uns an einen Luxus gewöhnt haben, ver­kommt er zur Selbst­ver­ständ­lich­keit. Erst wol­len wir nicht mehr ohne ihn leben, und irgend­wann kön­nen wir es nicht mehr.

Yuval Noah Hara­ri (Eine kur­ze Geschich­te der Mensch­heit)

Es ist nicht so, dass es nicht funk­tio­niert. Wenn Sie möch­ten kön­nen Sie es ver­su­chen. Wir wün­schen Ihnen viel Erfolg.